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Welche Verantwortung trägt ein Verwaltungsrat?

Dr. Edgar Oehler

20. November 2012

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Dr. Edgar Oehler, AFG Arbonia-Forster-Holding AG

07. Mai 2008

Bilanzmedienkonferenz

Dr. Edgar Oehler, AFG Arbonia-Forster-Holding AG

18. März 2008

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Welche Verantwortung trägt ein Verwaltungsrat?

[Dr. Edgar Oehler | Harbour Club, Symposium 2012: Die Verantwortung von Organisationen und Unternehmen - Vom Werteversprechen zur Reputation | 20. November 2012, Dübendorf, 20. November 2012]

Es gilt das gesprochene Wort
Bemerkungen und Überlegungen von Dr. Edgar Oehler

Social Responsibility auf Führungsetagen - notwendig und oft nicht vorhanden

An sich müsste man heute nicht mehr über die Verantwortung diskutieren, die ein Verwaltungsrat trägt. Sowohl die Schweizer Börse Six Swiss Exchange wie auch der Wirtschaftsdachverband „Economiesuisse“ haben entsprechende grundsätzliche Regeln aufgestellt:

Corporate Governance GC durch die Börse
und
Swiss Code of Best Practice for Corporate Governance Richtlinien von Economiesuisse

Das Thema wird uns so lange beschäftigen wie es Unternehmen in der noch freien Wirtschaft gibt. Es sind die Exzesse, welche diese Diskussionen erforderlich machten. In der Vergangenheit sind diese Richtlinien immer komplexer und umfassender geworden. Die Frage stellt sich, ob man mit diesem Fachwerk die eigentliche Verantwortung der Verwaltungsräte bzw. der einzelnen Mitglieder des Verwaltungsrates letztlich auch richtig erfasst und abdeckt.

In Art. 716 OR werden in 7 Ziffern die unübertragbaren und unentziehbaren Aufgaben des VR aufgeführt: An sich kann der Verwaltungsrat unter dem Begriff der Oberleitung der Gesellschaft zusammen mit den nötigen Weisungen, der Festlegung der Organisation der Gesellschaft, der Oberaufsicht der Geschäftsleitung mit der Einschränkung auf die Einhaltung der Gesetze, Statuten und Reglemente alles an die Geschäftsleitung delegieren. Alles andere in diesem Art. 716 des OR ist Beigabe, weil er ja letztlich auch diese Aufgaben wie die Organisation der GV, die Erstellung des Geschäftsberichtes, die Feststellung der Überschuldung bzw. der Zahlungsunfähigkeit an die GL überträgt.

Je nach Einstellung und Haltung, der Interessenlage, der Leistungs- und Risikobereitschaft, aber auch der zeitlichen Verfügbarkeit des einzelnen Mitgliedes des VR sind die Lösungen anders gelagert.

Die Geschäftsleitung steht im Zentrum

Vor diesem Hintergrund kommt es m.E. nicht so sehr auf die einzelnen Verwaltungsräte an, wie erfolgreich das Unternehmen wirtschaftet, sondern auf die Geschäftsleitung. Dabei verkenne ich nicht, dass der VR die Strategie eines Unternehmens vorgibt und damit die strategischen Rahmenbedingungen setzt.

Die zeitliche Verfügbarkeit des Verwaltungsrates setzt seinen Möglichkeiten, den Geschäftserfolg zu verfolgen und zu bestimmen, gewisse Grenzen. Die Tatsache, dass es heute je länger desto mehr sogenannte Berufsverwaltungsräte gibt, ändert die Ausgangslage kaum. Indessen kann ein Verwaltungsrat, der sich alleine mit einzelnen Unternehmen beschäftigt, intensiver mit seiner Funktion auseinandersetzen als ein (professioneller) Multi-Verwaltungsrat. Bedingung ist in einem solchen Fall meines Erachtens, dass er – eher mehrfach als nur einmal – erfolgreich – in einer exekutiven Funktion erfolgreich tätig war, Führungsaufgaben, Produkte, Märkte etc. aufgrund seiner eigenen Erfahrungen kennt.

Für VR, welche Rechtsanwälte sind, gelten andere Rahmenbedingungen. Ihr juristisches Wissen und Können kann wohl am einfachsten von aussen stehenden Dritten beschafft werden, es sei denn, es handle sich um sehr erfahrene Rechtsanwälte in einem komplexen Umfeld.

Das bedeutet in Summe indessen, dass die Geschäftsleitung faktisch letztlich über das Wohl und Wehe eines Unternehmens und des Erfolges bestimmt.

Ein Verwaltungsrat muss einen Tatbeweis ablegen

Ein Verwaltungsrat sollte sich nicht nur mit guten Ideen und ebensolchen Worten für ein Unternehmen einsetzen. Meines Erachtens muss er auch einen Tatbeweis ablegen, was er u.a. mit dem direkten Erwerb eines stattlichen Paketes von Aktien untermauern kann. Es kann und darf doch nicht sein, dass eine Vielzahl von Aktionären, welche mit einer teilweise grossen bis sehr grossen Investition das Unternehmen ausmachen und stützen, dieses Investment dem Verwaltungsrat und der Geschäftsleitung anvertrauen, die Verwaltungsräte selber aber kein Risiko mit eigenen finanziellen Mitteln eingehen. Mit der Auszahlung des VR-Honorars ist es dabei nicht getan.

Der Hinweis, wonach ein Verwaltungsrat Management by Delegation oder das Outsourcing von Responsibilities betreibt, ist nur beschränkt richtig, zumal das Gesetz ihm hiezu ja die Grundlagen schafft, ja es nachgerade fordert. Das bedeutet, dass auch in diesem Fall der Verwaltungsrat ohne schlechtes Gewissen seine Verantwortung auf die nächste Ebene abschieben kann.

Diese zweite Ebene kann sich mit einer Vielzahl von Beratern oder Beratungsunternehmen ausstatten, um sich damit auch auf dieser Stufe mit Management by Delegation oder Outsourcing von Responsibilities absichern. Zuguterletzt sichern sich Verwaltungsrat und Konzern- oder Geschäftsleitung mit einer entsprechenden Versicherung ab.

(Viele) Rahmenbedingungen für Mitglieder eines Verwaltungsrates

Ein Mitglied eines Verwaltungsrates einer internationalen Unternehmung muss neben Branchenkenntnissen und Erfahrungen in den einzelnen Geschäftsfeldern auch internationale Praxis haben. Er sollte die Kulturen der Völker der wichtigsten Märkte und damit Länder kennen, sich auch der Gepflogenheiten auf den entsprechenden Märkten und namentlich auch der kulturellen und politischen Verhältnisse bewusst sein. Dies vorausgesetzt bedeutet diese Forderung, dass er sich diese Kenntnisse persönlich angeeignet und nicht „angelesen“ hat.

Dass die eigentliche Führung eines Unternehmens letztlich durch die Geschäftsleitung bestimmt und beinhaltet wird, ist mindestens indirekt auch der Grund für die sogenannte Abzockerinitiative, über welche am 3. März 2013 abgestimmt wird.

Damit komme ich selbstredend für sich zu den Befugnissen der Geschäftsleitung.

Zu den Befugnissen einer Geschäftsleitung - Strategieänderungen

Je nach Ausführlichkeit der Umschreibung der Übertragung der Oberleitung der Gesellschaft, hat eine Geschäftsleitung ein grosses oder eingeschränktes Spielfeld. Von Bedeutung ist dabei auch die Tatsache, dass letztlich die Geschäftsleitung zuhanden des VR aufgrund seiner Vorgaben die Strategieentscheidungen massgebend beinhaltet. Es ist die Erfahrung der einzelnen Mitglieder des Verwaltungsrates, wie intensiv diese Diskussion dann geführt und vom Verwaltungsrat beinhaltet wird. Vor allem muss eine Diskussionskultur vorhanden und gepflegt werden. Nicht eine Rechthaberei einzelner Verwaltungsräte dürfen die Diskussion und die Ergebnisse bestimmen.

So kann innerhalb kurzer Zeit ein Geschäftsmodell gedreht oder mindestens nachhaltig anders beinhaltet werden. So wird beispielsweise in der AFG innerhalb von verhältnismässig kurzer Zeit aus einem Bau- und Technologiekonzern ein Bauzulieferkonzern entstehen.

Die seinerzeitige Idee und Vorgabe des Verwaltungsrates der AFG, das Unternehmen auf zwei Beine zu stellen wird damit innerhalb kurzer Zeit aufgegeben. Das gesamte Tätigkeitsfeld wird auf die Bauzulieferung konzentriert, die Technologie wird aufgegeben. Erst die Zukunft wird zeigen, welches Geschäftsmodell erfolgreicher sein wird.

Je weniger Zeit man sich für solche Strategieänderungen oder sogar eine generelle Strategieumkehr gibt, desto grösser kann das Erwachen sein, wenn sich die Folgewirkungen zeigen. Auch verkennt man gerne, bewusst und meistens nicht unbewusst, dass vormalige Verwaltungsräte ein Unternehmen nicht leichtfüssig organisiert haben.

Die Zeiten ändern sich und die Unternehmen mit ihnen

Allzu leicht und rasch vergisst man, dass sich auch das wirtschaftliche und politische Umfeld ändern kann. Die vergangenen wenigen Jahre haben uns drastisch vor Augen geführt, welche dramatischen Auswirkungen Währungsveränderungen zur Folge haben, dass Volkswirtschaften an den Rand des Ruins schlittern und die Möglichkeit eines Staatsbankrotts nicht nur Gegenstand eines juristischen oder volkswirtschaftlichen Seminars an einer Universität sein kann.

Sehr oft werden solche Strategieänderungen von Hektik begleitet. Letztlich schafft man mit solchen abrupten Änderungen auch Unsicherheit und die Notwendigkeit für sog. Impairments. Damit kann man bewusst mindestens indirekt die Grundlagen dafür schaffen, dass die Nachfolger auf dem Strategieänderungsfriedhof wegen weniger Abschreibungen etc. bessere Ergebnisse vorzeigen können. Finanziert haben dieses Freudegefühl die oftmals geplünderten Aktionäre. Diese Entwicklung kann man mit einem Fussballspiel vergleichen. Wenn der Schiedsrichter mit harter Hand und allenfalls aufgrund falscher Entscheidungen mit seiner roten Trillerpfeife zwei Spieler eines Teams in die Kabine pfeift, wird das Spiel nachher mit unterschiedlichen Kräften zu Ende gespielt.

Die Mitarbeitenden sind das Kapital des Unternehmens

Diese Feststellung ist m.E. eine wichtige Aussage in allen Unternehmen. Die Frage, ob die Führungsorgane die Belegschaft hinter sich scharen und für ihre Ziele einnehmen können, ist nicht einfach zu beantworten. Je grösser ein Unternehmen ist oder wird, umso anspruchsvoller wird dieses Unterfangen. Je mehr Reorganisationshektik herrscht, je negativer sich die allgemeine Wirtschaftslage entwickelt, je schlechter die Kommunikation ist und je unsicherer der eigene Arbeitsplatz wird, desto grösser kann das Frustpotenzial werden.

Die innere Abkehr wächst in einem gegen Aussen unbekannten Tempo. Die einstige Freude zur Arbeit und der Stolz für das „eigene“ Unternehmen zerrinnen, zusammen mit dem Arbeitsplatz, wie Schnee im Frühjahr. Diese „Schneeschmelze“ geht mit einer zunehmenden Distanz zwischen den verschiedenen Ebenen in einem Unternehmen einher. Angst begleitet die Mitarbeitenden bis auf obere bis oberste Ebenen. Die Gesprächskultur verliert an Inhalt und das menschliche Megaphon, womit laut zum Ausdruck gebrachte Meinungen zur Wahrheit stilisiert werden oder zum Selbstläufer mutieren, erlebt eine neue Zeit. Berater fühlen sich in einer eigentlichen Goldgrube.

Zur Personalbetreuung – in schwierigen Zeiten

Die eigene Personalbetreuung wird in einem solchen Umfeld je länger desto wichtiger. Sollten das Verhältnis und die Beziehungen zwischen dem HR-Bereich und der Führung in solch schwierigen Zeiten sehr gut und krisenfest, sein, kommt ein weiteres Moment dazu. Ein Burn-out mit allen Folgewirkungen kann auf allen Ebenen entstehen. Ein Burn-out ist aber grundsätzlich nicht die Folge einer kurzen Entwicklung. Aus diesem Grunde sollte sich ein Verwaltungsrat selber ebenfalls mit dem Zustand des Personals beschäftigen, nicht nur mit dessen Entwicklung – Personalentwicklung und Karriereplanung –, sondern beispielsweise auch intensiv mit den Ergebnissen von Mitarbeiterumfragen. Vor allem, wenn diese überdurchschnittlich schlecht sind! Sehr oft liegen die Gründe bei einer solchen Negativentwicklung dann nicht nur bei der Belegschaft, sondern verstärkt bei den Vorgesetzten jeder Stufe.

Grosse Unterschiede zwischen Politikern und Wirtschaftsführern

In unserer schweizerischen demokratisch organisierten Gesellschaft haben wir gegen solche Fehlverhalten und Auswüchse eine einfache, aber aussagekräftige Messlatte.

Im Unterschied zu Wirtschaftsführern müssen Politiker aller Stufen bei uns alle vier Jahre vors Volk, um ihre Akzeptanz zu bestätigen versuchen. Neue Kandidaten müssen sich in sehr oft gnadenlosen Kürlaufen empfehlen. Die Führung des Amtes und der Funktion wird öffentlich diskutiert, kritisiert und gelegentlich sogar gelobt. Kandidaten werden gelobt oder aber verbal geköpft und dann „versenkt“. Im schlimmsten Fall war die letzte Wahl auch wirklich die letzte Wahl. Alles spielt sich in der Öffentlichkeit, an Veranstaltungen und in den Medien ab.

Leserbriefe für, über oder gegen Politiker gehören zum Alltag. Aus eigener Erfahrung sowohl als Politiker wie auch als Journalist weiss ich, wie Politiker einerseits und Wirtschaftsführer anderseits beispielsweise auf Leserbriefe reagieren. Bei den einen gehört es nachgerade zum politischen Alltag, bei den Wirtschaftsführern wirken Leserbriefe oft wie ein herabstürzender Meteorit: es wird sehr oft übel und nervös reagiert. Man fühlt sich ungerecht behandelt, weil man doch, gestützt auf die Funktion, das Beste anvisiert und realisiert. Zum Wohle der Aktionäre, Kunden und Belegschaft. Sehr oft sind aber Eigennutz, Ehre und Machtgefühle die treibenden Kräfte.

Im Unterschied haben es Unternehmensleiter etwas bis sehr viel einfacher als Politiker. Unternehmungsleiter werden eingesetzt und sind dann Vorgesetzte. Öffentlich kritisiert werden sie kaum je. Leserbriefe, wie sie Politiker zur Kenntnis nehmen müssen, sind in der Wirtschaft leider nicht sehr häufig. Die Verfasser haben Angst, vor allem wenn sie Mitarbeitende und damit sogenannte Untergebene des oder der Kritisierten sind. Die Diskussionen finden intern statt. Und wehe demjenigen, welcher einen Vorgesetzten öffentlich kritisiert. Im Interesse der eigenen wirtschaftlichen Zukunft verzichtet man wohlweislich darauf, öffentlich kritisch zu werden. Auch Vorgesetzte könnten lernen und sich Fachwissen aneignen. Vor allem dann, wenn vom Fachweissen wenig bis nichts vorhanden ist.

Ein einziger Wirtschaftsführer und/oder Unternehmensleiter kann grösseren wirtschaftlichen oder politischen Schaden herbeiführen als beispielsweise ein einzelnes Mitglied eines kantonalen oder des eidgenössischen Parlamentes. Zudem kann man Politiker auf allen Stufen alle vier Jahre abwählen.

Deutschland zeigt, wie gross die Differenzen zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer werden können. Die Entfremdung zwischen diesen zwei Gruppen kann so gross werden, dass es für die Volkswirtschaft schädlich werden kann oder sogar wird.

Unternehmensleiter sollten eine grosse Sozialkompetenz haben. Sehr oft fehlt ihnen der Bezug zum Unternehmen und zur Region oder zu den Regionen, in welchen sie einen grossen Einfluss auf die wirtschaftliche Entwicklung haben oder haben könnten.

Vor diesem Hintergrund habe ich mir gestattet, nicht nur die Verantwortung des Verwaltungsrates, sondern vor allem auch einer Geschäftsleitung zu durchleuchten.

Es ist müssig darüber zu diskutieren, wer wichtiger und einflussreicher ist, Verwaltungsrat oder Geschäftsführung. Ein jeder von uns hat seine eigenen Erfahrungen gemacht. Ein jeder von uns kann seine eigene Werteskala machen.

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