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Zitat

"Wir müssen unsere Kader mehr fordern. Viele Unternehmen haben an der Spitze Zirkuspferde. Der Ackergaul aber zieht die Furchen, in die man säen kann."
Rheintalische Volkszeitung, 24. November 2007

Kontakt

AFG Arbonia-Forster-Holding AG
Dr. Edgar Oehler
Amriswilerstrasse 50
CH-9320 Arbon
T +41 71 447 41 41
F +41 71 447 45 89
presse@afg.ch

Interview mit Edgar Oehler

[Persönlich | 30. August 2008 | Interview]

Tausendsassa: Edgar Oehlers Imperium reicht um die ganze Welt. Der 66-jährige Unternehmer ist Mehrheitsaktionär, Konzernchef und VR-Präsident der Arbonia-Forster-Holding AG mit Sitz in Arbon (TG). Trotz einem soeben eingeweihten prunkvollen Firmensitz kämpft auch "Wunderkind" Oehler mit den wirtschaftlichen Problemen. Mitschuldig an der ganze Misere, so Oehler, seien die sogenannten "Überbanker", die Hunderte von Millionen Franken verpufft hätten.

Herr Oehler, bei Ihrem neuen Firmensitz in Arbon kann man anhand der Leuchtfarbe Ihre momentane Befindlichkeit ablesen. Heute morgen war das Gebäude rot beleuchtet...
Wenn ich morgens um 6 Uhr in mein Büro komme, stelle ich jeweils die entsprechende Farbe ein. Dies soll Transparenz vermitteln. Ich bin ein technikorientierter Mensch und das Unternehmen ist so konzipiert, dass es unterschiedlich beleuchtet werden kann. Einmal dominiert die Farbe Rot, dann wieder Orange, und wenn ich gut gelaunt bin, wähle ich die Farbe der Hoffnung, also Grün. Heute morgen war die Farbe rot, allerdings dachte ich aber nicht an das aktuelle Halbjahresergebnis der Arbonia-Forster-Gruppe...

…was eigentlich begreiflich wäre. Ihr Unternehmen hat die Erwartungen mit diesem eher enttäuschenden Ergebnis verfehlt. An der Schweizer Börse brachen die Aktien ein. Bereitet ihnen diese Tatsache schlaflose Nächte?
Glücklicherweise hatte ich keine schlaflosen Nächte, weil ich mit diesem für mich ungenügenden Ergebnis und einem Kurseinbruch gerechnet hatte. Doch es macht keinen Sinn, sich damit weiter zu beschäftigen; im Gegenteil: Ich konzentriere mich bereits wieder auf die nächsten Projekte. Es kann nicht immer gut laufen. Natürlich denken die Analysten diesbezüglich anders, da sie lediglich ihre Bleistifte bewegen und die Unternehmen kritisieren müssen, wenn sie ihre Erwartungen nicht erfüllen. Aber es ist nun einmal einfacher, am Schreibtisch Zahlen zusammenzuzählen als auf die schwierigen Verhältnisse in der Wirtschaft zu reagieren.

Trotzdem heisst es, der Börsenkurs widerspiegle mehr oder weniger die aktuelle Befindlichkeit eines Unternehmens...
Dies ist bei uns nicht einmal kurzfristig der Fall. Wir haben in den vergangenen Monaten 40 Millionen Franken in ein neues Firmengebäude investiert und gleichzeitig das umliegende Bauland aufgekauft. Dies sind Investitionen für die Zukunft, die sich aber jetzt in der Rechnung niederschlagen. Natürlich hätte ich auch am alten Standort bleiben können und dabei kein Geld investieren müssen. Was ich damit sagen will: Nicht die Kurzfristigkeit interessiert mich, sondern die Nachhaltigkeit. Die folgenden Generationen müssen kein Land mehr erwerben, weil wir das bereits erledigt haben. Ich spreche dabei von einer satten zweistelligen Millionenzahl. Die Reserven für unser Unternehmen sind zweifelsohne vorhanden.

Ist der Einbruch im Küchenbereich nicht ein erstes Anzeichen für eine stockende Konjunktur?
Der Einbruch im Küchenbereich ist mit internen Problemen verbunden, was ich auch klar zum Ausdruck gebracht habe. Wir haben im vergangen Jahr nicht weniger Umsatz als in den Vorjahren erzielt: Drei Millionen Franken auf 1,6 Milliarden weniger ist nicht der Rede wert. Was uns Kopfschmerzen bereitet hat, sind interne Probleme, und daran bin auch ich mitschuldig. Wir haben SAP eingeführt, dessen Ziel darin besteht, den Küchenplan einzulesen und eine Stückliste zu erstellen, bevor mit der Produktion begonnen wird. Wegen technischer Probleme mussten rund tausend Küchen von Hand nachgezeichnet werden. Dies hat uns einige Millionen Franken gekostet, was sich jetzt in der Rechnung niederschlägt. Darin erkenne ich eine Mitschuld, obwohl ich es nicht ausführte.

Rechnen Sie in naher Zukunft mit einer Rezession?
Natürlich weht momentan ein harter Wind, weil der Wirtschaft Hunderte von Milliarden Franken fehlen. Diese sind von den sogenannten Überbankern verpufft worden. Im nächsten Frühjahr werden alle Mieter mit den Folgen der Ölspekulation konfrontiert werden. Wir sind das Opfer jener Spekulanten, welche anstatt zu arbeiten ausschliesslich Mega- und Gigabytes in der Welt herumschicken und mit ihrer Gier unsere Wirtschaft an den Abgrund drängen. Momentan erleben wir den übelsten Casinokapitalismus, den man sich denken kann. Wir zahlen nun die Rechnung für diese Herren, welche mit dem Geld verschwunden sind.

Der Ausdruck 'Casinokapitalismus" stammt von ihrem ehemaligen Nationalratskollegen, dem Genfer Sozialisten Jean Ziegler. Hat sich Ihre politische Weltanschauung aufgrund dieser reellen Krise verändert?
Überhaupt nicht. Ich stehe nach wie vor hinter unserem System. Aber das, was diese Herren Banker im Überhimmel verursacht haben, ist mentale Korruption. Sie haben in der Vergangenheit Hunderte von Millionen verdient, ohne eine reelle und reale Leistung zu erbringen.

Die Banken stehen im Kreuzfeuer der Kritik, insbesondere die UBS. War dieser Zusammenbruch voraussehbar?
Diese Entwicklung kam für uns alle überraschend, am meisten aber für die Banken selber. Es sind ausgerechnet jene Banken, die jetzt am meisten klönen, welche bei uns immer auf absolute Transparenz pochen. Allerdings - und dies ist sehr erschreckend - wusste die oberste Etage in der Bankenwelt nicht einmal, auf welch dünnem Eis sie sich bewegte. Die Banken haben sich von den hohen Gewinnen blenden lassen und in ihrem Rauschzustand jeglichen Realitätssinn verloren. Wenn ich an Sätze denke wie: „Wir haben noch einmal drei Milliarden gefunden, die wir abschreiben müssen“, dreht sich mir der Magen um. Das kann doch nicht sein. Wenn wir in der Realwirtschaft auf diese Art und Weise handeln würden, gäbe es uns längst nicht mehr. Trotzdem ist mein Vertrauen in die Grossbanken nach wie vor vorhanden. Aber die Übeltäter, welche dieses Desaster verursacht haben, müssen beiseitegeschafft werden. Ja, sie sollten sogar bestraft werden.

Handelt es sich dabei um ein personelles oder strukturelles Problem?
Beides trifft zu, weil man intern nicht für klare Verhältnisse gesorgt hat. Man kann dies mit einer Kreditkarte vergleichen. Wenn man die Raten nicht mehr zurückzahlen kann, geht die Übersicht verloren.

Wie wirken sich die Probleme der Banken langfristig auf die Schweizer Volkswirtschaft aus?
Ein herber Imageverlust im Ausland ist die erste Folge. Die Einzelkonsumenten, die Kleingewerbler sowie Privatpersonen werden nicht mehr so leicht einen Kredit bekommen. Zudem werden die Zinsen mittelfristig steigen, aber nicht nur aufgrund der Finanzkrise, sondern weil die gesamte Spekulation die Preise in die Höhe schiessen lässt. Also müssen wir mehr Geld ausgeben, und das kann man nur dämpfen, indem man die Zinsen erhöht. Wenn die Angestellten mehr Lohn verlangen, werden die Produkte teurer, was bedeutet, dass der Konsument wiederum tiefer in die Tasche greifen muss. Diese Spirale dreht sich immer weiter nach oben.

Steht die Schweiz vor einer düsteren Zukunft?
Ich denke nicht, weil wir zuvor schon andere Krisen überstanden haben. Allerdings war das Ausmass damals deutlich kleiner. Dass die UBS 44 Milliarden Franken abschreiben muss, stimmt mich mehr als nur nachdenklich. Wenn man im Ausland Aktionäre sucht, damit das Eigenkapital stimmt, ist das verheerend. Ich glaube aber, ja ich bin nach wie vor überzeugt, dass die UBS überlebt. Trotz Imageverlust sind wir auf die UBS und die CS angewiesen. Bauen wir Unternehmer etwas auf, so benötigen wir immer ein solides Fundament. Und dieses wird von den Banken gestützt.

Sie sind weltweit als Unternehmer tätig. Hat der Industriestandort Schweiz an Image eingebüsst?
Ich denke, wir bewegen uns nach wie vor auf der Sonnenseite. Viele Schweizer glauben, dass das gesamte Ausland von unserer Bankenkrise weiss. Doch dies ist nicht der Fall. Als ich mich in den letzten Wochen in Shanghai, Hongkong, Japan und Amerika aufgehalten habe, spürte ich immer noch eine grosse Bewunderung für unser Land. Der Niedergang der Swissair hat die Leute viel stärker getroffen, weil viele mit dieser Fluglinie unterwegs waren. Bei den Banken ist dies womöglich ein wenig anders. Das verbrannte Geld fehlt in der Wirtschaft, auch wenn es sich dabei nur um Papiergeld handelt. Ich hoffe jedenfalls, dass diese Krise nicht mehr allzu lange andauert.

Apropos Ausland: Setzen Sie als CEO ihre Hoffnungen immer noch auf den Fernen Osten?
Ja, und das kann ich klar begründen. Meine verstorbene Schwester war mit einem Japaner verheiratet, wodurch ich mich seit Mitte der Sechzigerjahre oft im Fernen Osten aufhielt. Später habe ich in Hongkong gearbeitet, wohnte zudem ein halbes Jahr in Japan, wo ich auch die Schule besuchte. In den letzten vierzig Jahren konnte ich die Entwicklung im Fernen Osten hautnah mitverfolgen. Ich bin bereits vor vierzig Jahren in einem Auto in Tokio gefahren, welches über einen TV-Apparat verfügte. Aber auch den Konkurrenzkampf zwischen Hongkong und Singapur erlebte ich hautnah. Gleichzeitig machte ich ein Austauschjahr in Amerika und sah, wie sich die Leute dort hochgearbeitet haben. Aufgrund persönlicher Erfahrungen ziehe ich meine eigenen Schlüsse und kann mich sogleich mit den verschiedensten Mentalitäten anfreunden. Auf den Punkt gebracht, bedeutet dies: Alle Menschen wollen besser leben, sie wünschen sich einen Arbeitsplatz, schönere Häuser und grössere Autos, mehr Freizeit, Frieden und ein ausgebautes Sozialwesen. Das gilt für Schweizer genauso wie für Gastarbeiter in Shanghai.

Sie sind in verschiedenen Branchen tätig, sei dies im Bereich Kühlschränke, Küchen oder auch Druckmaschinen. Damit widerlegen sie die Managerregel, wonach man sich lediglich auf eine Sache fokussieren soll….
Da ich auf den verschiedenen Gebieten zeitlebens tätig war, trifft diese Regel auf mich kaum umfassend zu. Zudem wird es mir ohne Abwechslung schnell langweilig. In der fünften Klasse wollte ich freiwillig Stenografie lernen, daraufhin besuchte ich jeden Samstag einen Steno-Kurs. Später wollte ich fliessend Französisch und Englisch sprechen. Dies habe ich auch gemacht. In den Sechzigerjahren studierte ich Staatswissenschaften an der Universität St. Gallen und baute nebenbei mit meinem Vater, welcher Malermeister war, Häuser im St. Galler Rheintal. Daraufhin wollte ich ein Bauunternehmen gründen, doch mein Vater wollte mir dafür kein Geld geben: „Das verstehst du nicht!“ Aber wir fanden einen Kompromiss, indem wir weitere Häuser erstellten, welche ich ausstatten konnte. Bald beschäftigte ich vierzig Gipser und konnte mir meinen ersten Porsche leisten. Aber irgendwann langweilte mich alles, so dass ich den ersten Schritt in die Politik wagte. Gemeinderat schien mir zu wenig interessant, deshalb näherte ich mich dem nationalen Parkett. Mit dem Motto „Ich verkaufe meine Ideen mit ehrlichem Inhalt“ schaffte ich den Sprung in den Nationalrat.

Verlief Ihre Politkarriere wirklich so reibungslos? Schliesslich rangeln jeweils viele Kandidaten um einen Listenplatz.
Als Politiker muss man bescheiden bleiben, Ideen präsentieren und einen originellen Wahlkampf auf die Beine stellen. Dabei hielt ich mich an den alten Militärspruch „Mut zur Lücke“. Schon vor, aber vor allem während meines Wahlkampfes versuchte ich alle St. Galler Ortschaften abzuklappern. Ich kandidierte gemeinsam mit dem verstorbenen Alt-Bundesrat Kurt Furgler. Das hat mir einen eigentlichen Schub verliehen. Während 24 Jahren war ich für die CVP im Nationalrat vertreten, bis man in St. Gallen eine sogenannte 'Lex Oehler' einführte, wonach man nur noch 16 Jahre im Parlament vertreten sein soll. Glücklicherweise wurde diese angenommen, sonst sässe ich immer noch in Bern.

Gleichzeitig waren Sie auch noch Chefredaktor der Ostschweiz...
Als ich Assistent an der Universität St. Gallen war, meinte Kurt Furgler: „Du brauchst einen anständigen Job.“ Also wurde ich Chefredaktor. Das Handwerk habe ich im Rahmen eines Praktikums bei der Schwäbischen Zeitung im süddeutschen Leutkirch gelernt.

Wichtig für Sie war aber nicht nur Kurt Furgler, sondern auch Jakob Züllig, der damalige Patron der Arbonia-Forster-Gruppe.
Als Chefredaktor und Politiker muss man viel herumsitzen, reden und möglichst nichts trinken. Irgendwann kam ich mit Jakob Züllig ins Gespräch. Er bot mir an, Generaldirektor bei der AFG zu werden, was ich annahm. Zu jener Zeit besass ich bereits einige Verwaltungsratsmandate und führte nebenbei immer noch mein eigenes Gipsergeschäft. Deshalb kann ich heute auch noch über die meisten Produkte sprechen. 1987 wollten wir mit der AFG erstmals an die Börse. Doch es gab einen Börsencrash, der weitaus schlimmer war als heute, so dass wir unser Vorhaben um ein Jahr verschieben mussten. Dadurch verdienten wir sehr viel Geld.

In diesem Moment wurden Sie reich...
Reich bin ich heute noch nicht (lacht). Ich schlug Köbi Züllig in der Folge vor, den Schritt ins Ausland zu wagen, doch er war von dieser Idee keineswegs begeistert und beharrte auf dem Produktionsstandort in Arbon. Kurz darauf trennten wir uns. Damals war ich mit etwas mehr als zehn Prozent bereits der zweitgrösste Aktionär der AFG. Nach meinem Austritt aus der AFG sah ich keine Zukunft mehr im Unternehmen, weshalb ich Köbi Züllig 1993 meinen Anteil verkaufte. Damals hatte ich tatsächlich schlaflose Nächte. Dank dem Aktienverkauf besass ich plötzlich relativ viel Geld, mit welchem ich rund 200 Wohnungen im Rheintal erstellte oder kaufte.

Irgendwann haben Sie sich mit Jakob Züllig aber wieder versöhnt.
Er hat sehr viel für die Wirtschaft getan und Arbeitsplätze geschaffen. Ich ehrte seine Arbeit! Im Dezember 1996 rief mich Jakob Züllig an und wollte mich in meinem Büro in Steinach besuchen. Ich sagte: 'Wenn du kommst, schliesse ich die Tür des Bürohauses. Du hast dort nichts verloren. „Er komme trotzdem, gab er mir zur Antwort."

Warum wollten Sie ihn nicht in Ihrem Büro treffen?
Ich wollte nicht, dass Köbi Züllig zu mir fahren musste, um sich zu entschuldigen. Ich fuhr zu ihm nach Arbon in sein Bürohaus an der Romanshorner Strasse. Er stand vor seiner Bürotüre und hat sich mit Tränen in den Augen entschuldigt. Von diesem Zeitpunkt - bis zu seinem Tod im Jahre 1999 - haben wir uns glänzend verstanden. Später habe ich seiner Familie geschrieben, dass die Firma so nicht weitermachen könne. Im Herbst 2003 kam ein Bekannter der Erbengemeinschaft Züllig mit der Anfrage auf mich zu, ob ich nicht Aktionär werden oder in den Verwaltungsrat eintreten wolle. Aus Überzeugung wies ich das Angebot zurück. Da ich mich mit dem damaligen Management nicht identifizieren konnte, wollte ich auch kein 'Schweigegeld' beziehen. Als man mir aber zu verstehen gab, dass sie die Arbonia-Aktien an ein Konsortium verkaufen wollten, liess ich mir dies nicht zweimal sagen. Ich schlug einen Dreimonatsplan zur Übernahme der Firma vor. Diesen Plan skizzierte ich auf einem Blatt Papier, welche als Gesprächsgrundlage diente. Das ist ein primitiver Grundsatz, gleichzeitig sehr hilfreich. In knapp drei Monaten war das Ziel erreicht, und ich konnte den Mehrheitsanteil der Familie Züllig erwerben.

Sie sind Unternehmer geworden, hätten aber genauso gut Bundesrat werden können.
Nein, weil ich immer zu offen und direkt war. Das war mir möglich, weil ich materiell unabhängig war. Unabhängige Politiker reden frisch von der Leber weg und müssen sich nicht auf irgendwelche (meistens bezahlten) Posten konzentrieren auf die sie neben ihrem politischen Amt schielen. Das ist in allen politischen Parteien das Gleiche!

Aber Christoph Blocher hat den Sprung in den Bundesrat trotzdem geschafft.
Blocher hatte aber eine andere Stellung innerhalb seiner Partei. Ich wäre sicherlich nicht gewählt worden. Nach zwölf Jahren Tätigkeit im Nationalrat dachte ich erst, ich müsse mich nach anderen Möglichkeiten umsehen. Alle vier Jahre habe ich einen Rücktritt in Erwägung gezogen und passend zu diesem Termin ein Ferienhaus gebaut. Deswegen besitze ich Ferienhäuser im Tessin, in Florida etc. Wenn meine Partei meinte, ich müsse mich langsam zurückziehen, entgegnete ich immer: „Das bestimmt das Volk und nicht ihr.“ Nach 24 Jahren war dann Schluss.

Als Freund von CVP-Übervater Kurt Furgler hätten Sie sicherlich gewisse Chancen gehabt...
Wenn man eine solch gelockerte, offene Sprache wie ich pflege, sind die Chancen, in ein solches Amt gewählt zu werden, sehr gering. Wahrheit tut eben in vielen Fällen weh, vor allem in einer politischen Partei. Selbstverständlich habe ich 1971 Furgler in Hinblick auf die Bundesratswahlen unterstützt. Als er 1986 seinen Rücktritt bekannt gab, kam Arnold Koller ins Gespräch, der zu dieser Zeit als Professor an der Berkeley Universität in Kalifornien tätig war. Ich flog in die USA und suchte das Gespräch mit Koller. Obwohl er anfänglich zögerte, flog ich mit einer indirekten Zusage zurück. Zum Glück hat er zugestimmt und die Nachfolge Furglers angetreten.

Bevor Sie als Topunternehmer wahrgenommen wurden, lobbyierten Sie für die Tabakindustrie. Dieses Engagement wurde in der Öffentlichkeit eher kritisch betrachtet.
Ich wurde von der Tabakindustrie angefragt, ob ich dieses Mandat übernehmen wolle. Es ist mir egal, ob jemand rauchen will oder nicht. Ich setze lediglich voraus, dass die Leute diese Entscheidung selbst treffen können. Ich selbst rauche allerdings nicht. Rückblickend habe ich jedoch viel gelernt. Die globale Zigarettenindustrie verfügt über ein sehr grosses Netzwerk und kann über ihre Quellen beispielsweise genau ablesen, wie viele Automaten weltweit existieren und wie gross deren Auslastung ist. Das ist faszinierend. Nicht einmal die Post kann mit einem solchen Netzwerk auftrumpfen.

Glauben Sie, dass die gesetzlichen Einschränkungen gegenüber den Rauchern Wirkung zeigen?
Ich denke, die Menschen verspüren vermehrt das Bedürfnis, gesünder zu leben. Das gilt eigentlich auch für mich, doch mir fehlt die nötige Zeit, um mich zu bewegen. Seit ich Präsident der AFG bin, sitze ich jeden Tag im Büro, während ich früher jedes Wochenende 60 Kilometer gelaufen bin. Trotzdem bezweifle ich, dass die Anti-Raucher-Welle Bestand haben wird.

Nach Ihrem Prinzip sind Sie auch in Bereichen tätig, von denen Sie nichts verstehen, beispielsweise dem Fussball. Mit der neuen AFG-Arena in St. Gallen, welche Sie über das Naming Right mitfinanziert haben, haben Sie einen ersten Schritt Richtung Unsterblichkeit getan….
Das würde ich nicht sagen. Ich fühle mich der Region St. Gallen und der Ostschweiz verpflichtet, bin aber trotzdem weltweit tätig. In der Vergangenheit habe ich übrigens bereits eine Kunsteisbahn und Tennishallen gebaut. Die AFG-Arena ist also die Fortsetzung meiner Tätigkeiten. Wer eine Firma führt, muss neben einem guten Arbeitsplatz, einem anständigen Lohn auch etwas Zusätzliches bieten. Das ist gesellschaftspolitische Verantwortung. Da ich schon immer ein FC-St.-Gallen-Fan war und früher beim FC Nationalrat gekickt habe, lag mein Engagement auf der Hand.

Wie gross ist ihr Einfluss beim FC St. Gallen?
Gering. Viele Geldgeber machen immer den gleichen Fehler: Sie wollen überall mitreden, was aber selten gut ankommt. Ich schaue mir die Spiele an und spreche ab und zu mit dem Trainer Uli Forte und den anderen Verantwortlichen.

Haben Sie den Trainer selbst bestimmt?
Nein, ich bin lediglich Grossaktionär beim FC St. Gallen und stelle Geld zur Verfügung. Dabei verwende ich dieselben Prinzipien wie bei uns in der Firma: Wenn der FC St. Gallen ein Goal erzielt, verwandelt sich die Loge in ein leuchtendes Grün, wenn sich die Spieler wacker schlagen, bleibt die Loge grün. Dieses Prinzip „Licht, Glas, Wasser, Transparenz“ wende ich auch im Küchenbereich an. Als Unternehmer muss man - wie in der Politik - die Leute immer abholen. Deswegen muss man die Menschen immer auf Augenhöhe ansprechen. Man überzeugt nicht mit intelligenten Ausdrücken, sondern nur mit einer direkten und offenen Art. Dies gilt gegenüber Politikern, Unternehmern oder Trainern.

Ist ein Fussballtrainer mit einem Abteilungsleiter vergleichbar?
Nicht ganz. Aber auch ein Fussballtrainer muss seine Mannschaft erfolgreich leiten können. Beim FC St. Gallen heisst dieses Ziel Aufstieg in die Super League. Trainer Uli Forte arbeitet mit jungen Menschen zusammen, die nicht mehr ausschliesslich fremdsprachig sind, wie es in der vormaligen Mannschaft der Fall war. Eine junge Fussballmannschaft erfolgreich zu führen, verlangt ein enormes Einfühlungsvermögen. Gleichzeitig ist ein Trainer auch eine Respektsperson. Erscheinen die Spieler beispielsweise zu spät zum Training, so lässt er sie während des nächsten Spiels auf der Bank sitzen.

Sprechen wir nochmals von Ihrer Tätigkeit als Unternehmer. Mit wem vergleichen Sie sich?
Das mache ich grundsätzlich nie. Aber es gibt und gab in der Schweiz viele erfolgreiche Unternehmer wie Johann Schneider-Ammann, Ulrich Bremi, Nicolas Hayek oder auch Christoph Blocher, mit denen ich mich wesensverwandt fühle. Viele Unternehmer haben jedoch ein gestörtes Verhältnis zu den Medien. Einen Wirtschaftsführer zu kritisieren, der nie politisch tätig war, ist sehr schwierig. Da ich mich in der Medienwelt auszukennen glaube, ich war ja schliesslich 13 Jahre vollamtlicher Chefredaktor, bin ich mir einiges gewohnt und lasse dadurch auch Kritik zu. 1961 war ich Austauschschüler in den USA. Gemeinsam mit anderen Studenten traf ich im Garten des Weissen Hauses den damaligen US-Präsidenten John F. Kennedy und war fasziniert. Anschliessend las ich das Buch über seine Präsidentschaft mit dem Titel „The Making of a President“. Einer seiner Kernsätze, den ich auch befolge, lautete: „Am Ende muss man im Hintergrund die Fäden selbst in die Hand nehmen.“ Gleichzeitig muss man auch darauf achten, dass einem nicht der Schwarze Peter zugeschoben wird.

Ist Ihnen das auch schon einmal passiert?
Ja, als ich Chefredaktor war, wollte ich als Regierungsrat kandidieren. Doch kurzfristig wurde mir davon abgeraten, ich wurde nicht nominiert, sondern auf den Sitz im Nationalrat „verwiesen“. Dort würde ich mehr nützen. Rückblickend war dieser Entscheid wohl auch richtig, denn sonst wäre ich jetzt schon in Pension und müsste 180000 Franken pro Jahr „verbrennen“. Was mich nicht umbringt, macht mich stark.

Sie haben nebst John F. Kennedy auch Saddam Hussein persönlich kennengelernt, als Sie mit Ihren Nationalratskollegen Jean Ziegler und Franz Jaeger nach Bagdad reisten, um Schweizer Geiseln zu befreien. Inwiefern hat sie diese Begebenheit geprägt?
Ich bin mit Jean Ziegler, Franz Jaeger und anderen nach Bagdad gereist, um die Schweizer Geiseln zu befreien. Meine einzige Bedingung lautete: „Le chef c'est moi!“ In Bagdad gelang es uns mit vielen grossen Anstrengungen und Winkelzügen, Saddam persönlich zu treffen. Doch dieser wusste zuerst gar nicht, was wir von ihm wollen. Erst als ich etwas von der Liste erzählte, auf denen die Namen der Geiseln aufgeführt waren, schaute er fragend in den Raum, bis einer der Anwesenden gestand, dass er eine solche Liste habe. Das war sein Todesurteil, weil Saddam dadurch das Gesicht verloren hatte. Dank der persönlichen Verhandlungen mit Hussein gelang es uns, die 36 Geiseln frei zu bekommen.

Wie hat der Ex-Diktator auf Sie gewirkt?
Es war ein eigenartiges Gefühl, face to face mit dem gefürchtetsten Menschen der Welt am gleichen Tisch zu sitzen. Ich überlegte mir immer wieder, was passieren würde, wenn ich nun ein Messer zücken würde. Saddam hat mir einige Fragen gestellt, gleichzeitig aber signalisiert, dass ich diese nicht beantworten müsse. Er fragte mich - unmittelbar nach dem Einmarsch in Kuwait ob ich es gerecht fände, dass der Scheich von Kuwait etwa 60 Milliarden Dollar besitze. Ich sagte nur: „Rich Man.“ Dann wollte er wissen, ob ich es gerecht fände, dass der Scheich 60 Frauen habe. Da entgegnete ich: „Poor Man.“ Doch diesen Scherz fand Saddam Hussein überhaupt nicht lustig. Zudem wollte er auch wissen, ob ich es gerecht fände, dass die Palästinenser seit 40 Jahren in Lagern leben müssten, und da habe ich nichts gesagt. Darüber kann man nicht witzeln, sondern nur mit diesen Leuten mitfühlen! Zum Schluss meinte der Ex-Diktator: „Ich werde der Welt etwas antun, das sie niemals vergessen wird.“ Am 11. September 2001 musste ich einige Male an diesen Satz denken, obwohl ich überzeugt bin, dass Saddam nichts mit den Anschlägen zu tun hatte.

Man wollte Sie jetzt auch nach Libyen schicken, um mit Muammar aI-Gaddafi die laufenden Probleme zu lösen.
Man hat mich angefragt, ob ich nochmals eine Delegation anführen würde, welche mit Gaddafi über die laufenden Probleme verhandeln würde. Wer das Naturell von Staatsmännern im positiven oder negativen Sinne kennt, weiss, dass man sie nicht vor der ganzen Welt blossstellen kann. Gaddafi ist nicht auf uns angewiesen. Ich persönlich würde Jean Ziegler nach Libyen schicken. Er kennt in Tripolis jeden und hat bereits vor 18 Jahren bei Saddam wie ein 1.-August-Redner über unser Land gesprochen, ohne sich dabei verleugnen zu müssen. Bei Gaddafi würde derselbe Erfolg eintreten, nur die Leute vom EDA lassen Ziegler sicher nicht machen.